Ein Walzer

 

Es begann mit einem Walzer. Sie war eine gute Tänzerin und hatte schon viele Walzer in ihrem Leben getanzt. Doch diesen Walzer nahm sie mit allen Sinnen in sich auf, sie fühlte und lebte ihn, während ihre Beine ganz von selbst das unfaßbare Phänomen des Donauwalzers schwebten. Die Musik schmeichelte, und das ewige eins zwei drei versetzte sie in einen Traumzustand gegen den sie machtlos war. Eine Saite ihre Herzens schlug an und klang in ihr fort, auf das Echo im Herzen des Anderen wartend, in dessen Armen sie lag um diesen Walzer ihres Lebens zu fühlen, über die Welt herum hinausschwebend und den Blick wie mit höherer Gewalt in seinem Gesicht gefangen. Ihre Augen tauchten ineinander um alles das zu sagen, was ihre Lippen niemals aussprechen durften. „Ich liebe dich“, dachte sie, eins zwei drei, eins zwei drei, „ich dich auch!“ antworteten seine Augen. „Oh möge es immer so bleiben“, dachte sie. Er zog sie sanft an sich als hätte er sie verstanden. Die Zeit, der Ort und der Alltag hatten längst die Bedeutung verloren, und es gab nur mehr sie selbst, die ewig drehende Bewegung, die Musik und das Glück des Augenblickes.

 

Eins zwei drei, eins zwei drei, „ich habe mich mein Leben lang nach dir gesehnt, ich habe auf dich gewartet, ich wußte, daß es dich geben müßte, daß du zu meinem Leben gehörst, daß du kommen würdest um mich hinfortzunehmen aus dem grauen Alltag in eine Welt voll Glück und Harmonie“, eins zwei drei, „“so harmonisch wie dieser Walzer und so glücklich wie diese kurze Spanne Zeit, die uns beiden gehört“, dachte sie. Ein Blick voll Wärme und Verstehen antwortete ihr. „Ich bete dich an, du Geschenk des Himmels“, sprachen seine Augen „und nun gehörst du mir, für diesen Walzer, den du mir schenkst und zu einem Erlebnis machst, das in mir fortklingen wird wie diese Melodie.“

 

Sie lächelte ihn an, legte den Kopf etwas schief, öffnete die Lippen als wollte sie etwas sagen, schwieg aber, und er fühlte in seinem Herzen den Kuß, den ihre Gedanken ihm jetzt gaben. Sie hatte kein Gewicht in seinen Armen, so daß er meinte sie sei gar nicht wirklich sondern nur ein Symbol des Glücks und der wahren Liebe. Hastig zog er sie an sich, wie aus Angst, sie könnte ihm entschweben wie ein Traumbild. Doch als sich ihr Körper an den seinen schmiegte, er den Duft ihrer Haut spürte und ihren Atem an seiner Wange fühlte, malte sich ein zufriedenes Lächeln in seine Züge. Sie war Wirklichkeit, so wirklich wie diese Melodie, so schmeicheln und so lockend. Er ließ sie wieder etwas lockerer um den Schwung dieses Taktes richtig auskosten zu können. Die Musik steigerte ihr Tempo und er begann schneller zu drehen. Eins zwei drei, eins zwei drei, ihre Herzen schlugen im gleichen Takt, und ihre Blicke verfingen sich ineinander und hafteten in den Augen des anderen. Sie hatten noch kein Wort gesprochen und dennoch ist so viel zwischen ihnen verstanden worden, daß es keiner Worte mehr bedurfte. Sie wußten beide, daß ein Gefühl sie gefangen genommen hatte, daß höher war als die menschliche Leidenschaft, das zu empfinden nicht jedem Menschen gegeben ist. Ein Gefühl, daß die höheren Werte des Lebens in sich trägt, das jedoch dem Ansturm des Alltags nicht standhalten kann, da es so zart und rein ist, daß es der Mensch auf die Dauer durch seine eigene Unzulänglichkeit zerstören würde. Ein Gefühl, das den Augenblick nicht überdauert, der es gebärt. Sie genossen dieses köstliche Stück Seligkeit während eines Walzers und fühlten sich reich beschenkt.

 

Eins zwei drei, eins zwei drei, „wie ich dich liebe“ dachte sie, und wieder antworteten seine Augen: „Meine Liebe gehört dir.“ Mit einem Tusch verklang die Musik, die Stimmung zerfiel in nichts. „Ich danke Ihnen, gnädige Frau, Sie tanzen wundervoll!“ sagte er und bot ihr galant seinen Arm, wie wenn nichts gewesen wäre, brachte sie an ihren Tisch zurück, bedankte sich durch ein leichtes Nicken des Kopfes bei ihrem Gatten, grüßte und verschwand in der Menge, aus der er gekommen war um sie um einen Tanz zu bitten.

 

„Wir wollen jetzt gehen.“ hörte sie die Stimme ihres Mannes, „du siehst sehr müde aus.“ „Ja“ antwortete sie. „Es ist ohnehin schon vorbei.“ Sie faßte wieder Boden unter den Füßen und schloß diesen Walzer als Erinnerung in sich ein.

© sarah66