Pony-Farm

So hieß ein Buch aus meiner Kindheit, an das ich noch oft denken muss. Ich weiß weder wer es geschrieben hat, noch kann ich mich auch nur im Entferntesten an den Inhalt erinnern. Ich weiß nur, es war ein Buch mit einem matt-orangen Leineneinband und darauf waren braune Pferde skizziert. Aber das Wichtigste: Es war ein neues Buch, und es gehörte mir alleine. Ich habe es gewonnen.


Es waren die Nachkriegsjahre, die Jahre der Besatzung. Wir wohnten in der Amerikanischen Zone. Das empfanden die meisten Menschen damals als Glücksfall. Wir Kinder ganz besonders, gab es doch in unserer Gegend, in Währing in der Weimarerstraße den Amerikanischen Klub. In einer Villa mit großem Garten hatten die „Ami’s“ eine Nachmittagsbetreuung für Kinder eingerichtet. Dreimal in der Woche durften meine beiden älteren Brüder und ich dort hingehen. Man bekam eine Karte mit einem Stundenplan, in den man eintragen durfte was man gerne machen wollte. Da gab es Lesen, Filme anschauen, Englisch und noch vieles mehr. Am beliebtesten war sicher Filme sehen. Dabei wurden irgendwelche schwarzweiße Stummfilme gezeigt, es waren Kurzfilme, aber für uns eine Sensation. In Erinnerung geblieben ist mir dabei ein Film über Holzfäller in Kanada, und das nur deshalb, weil der Vorführer den Film dann zurücklaufen ließ und dabei nahmen sich die Holzfäller mit einem Löffel das eben gegessene Linsengericht wieder aus dem Mund und legten es auf den Teller.


Aber zurück zu meinem Buch. Die Ami’s feierten auch Feste mit uns. Einmal bekam ich dabei eine Puppe geschenkt, die blonde Wollzöpfe hatte und einen langen Rock. Wenn man die Puppe umdrehte sah man, dass sie unter dem Rock keine Beine hatte, sondern wieder einen Oberkörper, diesmal allerdings einen schwarzen. So sollten wir wahrscheinlich den Rassismus des tausendjährigen Reiches ablegen lernen.


Ein anderes Mal gab es ein Faschingsfest. Wir sollten mit Kostümen kommen, aber wer hatte damals schon wirklich Geld für Faschingskostüme. Meine Mutter nähte mir schwarze Strümpfe an eine Turnhose und dazu zog ich ein schwarzes Leibchen an und – oh Wunder – ich bekam eine Mickeymaus-Maske dazu! Das war nun wirklich eine Sensation und ich gewann auch einen Preis bei der Kostümprämierung und bekam oben beschriebenes Buch. Es war wunderschön und ich war sehr stolz. Ich habe dieses Buch wie ein Heiligtum gehütet. Gelesen habe ich es nie, denn es war in Englisch geschrieben und das lernte ich erst viele Jahre danach, als dieses Buch bereits mit vielen anderen Kindheitserinnerungen in einer Kiste verpackt am Dachboden stand.


Diese Kiste ist auch irgendwann einmal verloren gegangen, aber die Erinnerungen sind geblieben so auch an dieses Buch, vielleicht sogar das erste nagelneue, dass ich je bekommen habe.

©sarah66