Rauchpause

50 Jahre meines Lebens habe ich geraucht. Dann habe ich mir auf einem Parkplatz kurz vor Wien eine Zigarette angeraucht, gewusst, das ist jetzt die letzte meines Lebens und habe die angefangene Packung einfach in den Mistkübel geworfen.


Natürlich klingt das jetzt sehr einfach, aber an diesem Tag holte ich meinen Mann aus dem Spital. Lungenkrebs, austherapiert er hatte noch ein paar Wochen, vielleicht sogar Monate, aber das war’s dann.


Wie oft habe ich gedacht, wir sollten damit aufhören, wie oft habe ich mit ihm darüber geredet, aber von seiner Seite war da überhaupt kein Wille. Ganz im Gegenteil, das Rauchverbot in diversen Lokalen das plötzlich Tagesthema war, führte bei ihm, und sogar auch teilweise bei mir, zu einer Trotzreaktion. Na dann besuchen wir eben diese Lokale nicht mehr. Ätsch!

 

Um diese Einstellung ein bisschen zu verstehen, muss man wahrscheinlich weit ausholen. Als ich ein Kind war, rauchte meine Mutter ab und zu, so wenn sie nachmittags Besuch von ihrer Freundin bekam. Dann wurden wir Kinder in die Trafik geschickt um fünf „Donau“ zu kaufen, filterlose billige Zigaretten, die aber dann doch etwas „nobler“ waren als die gängige Austria 3. Nichts konnte man sich damals leisten, diese paar Zigaretten waren ein Hauch von „Noblesse“. Schließlich rauchten James Dean, Hildegard Knef und Humphrey Bogart.

 Im Krieg musste sie als junges Mädchen ihre Rauchermarken natürlich an ihren Vater abliefern, schließlich rauchte die deutsche Frau nicht, höchstens dann wenn ihr ein Mann eine Zigarette anbot. Für uns Kinder war Rauchen so etwas wie ein Zeichen erwachsen zu sein. Ab 16 durfte man öffentlich rauchen und ab 16 durfte ich auch abends nach dem Nachtmahl eine Zigarette rauchen. Mein Vater war ein Gelegenheitsraucher, er rauchte oft lange Zeit gar nicht, und dann doch wieder. Ab und zu besuchte er mit meinem Bruder und mir eine Operettenvorstellung in der Volksoper, dann packte uns meine Mutter, die zu Hause auf die kleine Schwester aufpassen musste, für jeden eine „Donau“ für die Pause ein. So zwischen 16 und 18 Jahren begann ich mit dem kargen Taschengeld ab und zu mit einer Freundin die Mittagspause zwischen Vormittags- und Nachmittagsunterricht in einer Kaffeekonditorei zu verbringen. Dann kauften wir uns fünf Zigaretten, damals dann schon mit Filter, und rauchten jede zwei, die fünfte durfte dann meine Freundin mit nach Hause nehmen und heimlich rauchen, weil ihre Eltern das nicht toleriert hätten, ich jedoch immer noch meine Abendzigarette von meinen Eltern bekam.


Eigentlich rauchten damals glaube ich alle aus meinem Bekanntenkreis. Es gehörte einfach dazu. Anders war es allerdings mit dem Alkohol. Es war in unserem Kreis eigentlich kein Thema. Wir tranken Cola, ganz selten einmal Cola mit Rum, und noch viel seltener einen Cognac nur um zu beweisen, dass wir „wer“ sind. Geschmeckt hat dieses Zeug kaum jemanden. Und dann war ja damals auch noch die gesellschaftliche „Übereinkunft“ Rauchen schadet nur mir selbst, Alkohol wohl auch allen anderen. Dabei ging es um schon um Alkohol am Steuer, aber noch vielmehr um diejenigen, die ihren – damals noch üblichen – Wochenlohn bereits am Freitag abends in der nächsten Gaststube ablieferten und dann betrunken nach Hause gingen um Frau und manchmal auch Kinder zu verprügeln. Von Passivrauchen wusste damals noch niemand, und so hieß es: Das kann einem Raucher nicht passieren.


Eine „anständige“ Frau rauchte nicht während der Schwangerschaft oder in der Stillzeit. Und als die Wohnungen in der Zeit des Aufschwungs wieder größer wurden, rauchte man natürlich auch nicht im Kinderzimmer. In den Büros und Betrieben war das Rauchen nur dann eingeschränkt, wenn es eine reale Gefährdung darstellte und damit war nicht das Passivrauchen gemeint. Auf dem Postamt, auf dem ich als junge Frau arbeitete, war es selbstverständlich dass sowohl Beamte als auch Kunden rauchten, nur von Frauen wurde es noch immer nicht gerne gesehen. D.h. Männer hatten sehr wohl einen Aschenbecher am Schalter stehen, wir Frauen konnten uns erst nach Kassaschluss eine anrauchen. Dabei ging es auch nicht um Luftverpestung, sondern nur darum, eine Frau tut das halt nicht. Meine Mutter z.B. konnte sich nicht vorstellen als Frau auf der Straße zu rauchen. Auf jedem unserer Spaziergänge mussten wir zu diesem Zweck ein Cafe aufsuchen und zumindest einen kleinen Mocca konsumieren.


Rauchen wurde von der Gesellschaft völlig akzeptiert, ja sogar Frauen konnten bald öffentlich rauchen. In den Trafiken gab es ein immer größeres und bunteres Angebot an Zigaretten. In den Eisenbahnzügen konnte man zwischen Raucher und Nichtraucher-Abteilen wählen und irgendwann gab es sogar an den höheren Schulen Raucherzimmer.


Ganz heimlich kam dann die Wende. So mit der Umweltbewegung wurde plötzlich überall über die Luftqualität diskutiert, und natürlich sehr bald auch über das Rauchen. Die ersten Forderungen nach Rauchverboten standen im Raum und bei jeder Versammlung der neu aufgetauchten Grünparteien wurde zunächst länger über ein Rauchverbot im Saal diskutiert und abgestimmt als über so manche wichtigen politischen Anliegen, obwohl damals sicher auch die Mehrheit der Grünen rauchten, und dann die interessantesten Gespräche bei den Aschenbechern vor dem Veranstaltungssaal stattfanden.


Es tauchte das Wort „Passivrauchen“ auf und in den neueren Filmen rauchten nur mehr die „Bösen“. In Wien eröffnete der erste „Nichtraucher-Heurige“, musste aber mangels Akzeptanz auch bald wieder schließen. Trotzdem gewann die Antiraucherbewegung immer mehr an Bedeutung. Die Austria-Tabak (ehemals Österreichische Tabakregie) wurde zunächst privatisiert und dann an das Ausland verkauft. Durch das Werbeverbot für Tabakwaren gingen auch mächtige Sponsoren verloren und so musste sich auch der Fußballklub Austria- Memphis nach Rückzug seines Hauptsponsors umtaufen.

Auf den Zigarettenpackungen mussten plötzlich Warnungen vor der Gefährlichkeit aufgedruckt werden und in öffentlichen Gebäuden, in den Zügen und Flugzeugen durfte nicht mehr geraucht werden. Dann begann die große Diskussion über das Rauchen in der Gastronomie. Ging es zuerst um eigene Nichtraucherbereiche, so war bald klar, dass das Rauchen überhaupt verboten werden sollte und in manchen Ländern geschah das auch. Die Tabaksteuer, und der damit verbundene Zigarettenpreis, erlebten einen Höhenflug.

Für mich änderte sich zunächst dadurch nicht allzu viel. Wenn man in einem Lokal nicht rauchen durfte, so ging ich halt nicht mehr hin, Um die blöden Aufdrucke auf den Zigarettenpackungen nicht sehen zu müssen, steckte ich die Schachteln in ein schickes Etui, und ich genoss mein Zigaretterl zum Kaffee wie eh und je.

 

Da waren schließlich auch die netten Seiten. Eine Zigarette zum Abschied, das erinnerte mich immer an die „Minute“ aus dem Film „Der Postmeister“ von Alexander Puschkin. Dort standen bei jedem Abschied die Verwandten eine Minute gemeinsam schweigend beisammen bevor jemand abgereist ist. Eine Zigarette als „Zeitspanne“, eine rauche ich noch, dann gehe ich, oder meine Tochter, selbst fast militante Nichtraucherin: „Mama, rauch‘ dir eine an, ich lege jetzt die Nudel ins Wasser!“. Und schließlich auch die Zigarette danach.

 

Nie gehörte ich zu denen, die das Rauchen verharmlost haben. Immer wusste ich, dass es ungesund ist, immer wusste ich wieviel Geld ich unnütz ausgab und etwas später erkannte ich auch, dass es eine Belästigung für andere sein kann. Nie habe ich versucht das Rauchen aufzugeben, nie bin ich gescheitert. Irgendwie wusste ich immer, wenn ich es wirklich will, dann mache ich es ganz einfach und dann kann ich es auch.

 

Und so war es dann schließlich auch. Die letzte Zigarette an jenem Tag, die letzten paar Wochen mit meinem Mann und dann war es vorbei. Nie wieder habe ich eine Zigarette angefasst, nie wieder Sehnsucht danach gehabt, aber auch heute kann ich der Hetzkampagne gegen die Raucher kaum etwas abgewinnen. Solange der Staat sich an den Rauchern dumm und dämlich verdient, sind seine halbherzigen Einschränkungen und Verbote für mich eher lächerlich. Und solange auf dieser Welt Millionen von Kindern verhungern oder in sinnlosen Kriegen getötet werden, möchte ich mir nicht den Kopf darüber zu zerbrechen, ob ich wegen „Passivrauchen“ vielleicht einmal ein paar Jahre kürzer lebe.

 

Irgendwann wurde ich einmal gefragt, was machst du wenn du nur mehr ein paar Tage zu leben hast? Meine Antwort war ganz spontan, ich gehe in die Trafik und kaufe mir ein paar Stangen Zigaretten. So gesehen mache ich jetzt einfach eine Rauchpause.